Manchmal braucht ein Patient eine Kopie von Behandlungs-unterlagen, etwa wegen Schadensersatzansprüchen nach einem Behandlungsfehler. Die Kosten von Kopien können erheblich sein. Ein Streit darüber kam bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dabei ging es aber noch um einiges mehr als „nur“ um Geld.
Ausgangspunkt war ein Besuch beim Zahnarzt
Ein Patient war mit seiner Zahnärztin nicht zufrieden. Er hatte den Verdacht, ihre Behandlung sei fehlerhaft gewesen. Deshalb forderte er von ihr eine Kopie seiner Patientenakte. Zu einer solchen Kopie war die Zahnärztin bereit. Allerdings verlangte sie vom Patienten die Erstattung der Kosten dafür. Das sah der Patient nicht ein. Nach seiner Auffassung gibt ihm die DSGVO das Recht auf eine kostenlose Kopie.
Das deutsche Recht ist hinsichtlich Kosten für Kopien eher ärztefreundlich
Die Zahnärztin sah dies völlig anders. Sie verwies auf eine Regelung des BGB. Nach ihr hat ein Patient zwar einen Anspruch auf eine Kopie seiner Behandlungsunterlagen. Allerdings muss er die Kosten tragen, die dem Arzt oder Krankenhaus entstehen (siehe § 630g Abs. 1 BGB).
Das weicht von den Vorgaben der DSGVO ab
Diese Regelung beißt sich ersichtlich mit den Vorgaben der DSGVO. Danach gilt die Grundregel, dass betroffene Personen ein Recht auf „Gratis-Auskunft“ über ihre Daten haben (siehe Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO). Für Kopien von Daten ist geregelt, dass nur für „weitere Kopien“ ein Entgelt verlangt werden kann. Daraus folgt, dass die „erste Kopie“ kostenlos sein muss (Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DSGVO.
Strittig war, ob sich das mit der DSGVO vereinbaren lässt
Dass die DSGVO als EU-Recht den Vorrang vor dem BGB als deutsches Recht hat, ist ein fester Grundsatz. Deshalb kann es auf den ersten Blick verwundern, dass ein Streit über Kosten von Kopien überhaupt bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) kommen konnte. Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt die DSGVO jedoch, dass die Mitgliedstaaten das Auskunftsrecht beschränken.
Dreh- und Angelpunkt ist die Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen
Deshalb stellte sich die Frage: Sind die wirtschaftlichen Interessen von Ärzten und Kliniken als „Rechte und Freiheiten anderer Personen“ anzusehen, die eine Abweichung von den Vorgaben der DSGVO erlauben? Falls ja, läge in der Regelung des BGB für Kosten von Kopien eine zulässige Abweichung von der DSGVO. Denn Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO erlaubt es, das Auskunftsrecht der DSGVO zugunsten der Rechte und Freiheiten anderer Personen einzuschränken.
Der EuGH setzt dafür klare Grenzen
Den EuGH schienen solche Überlegungen fast schon etwas zu verwundern. Für ihn steht fest: Die erste Kopie, die ein Patient von seinen Daten fordert, muss kostenlos sein. Er verweist dazu auf den Wortlaut der DSGVO. Er erlaubt lediglich, für jede „weitere Kopie“ Kosten zu erheben. Dann muss aber die erste Kopie logischerweise kostenlos sein.
Neben der DSGVO ist kein Platz für andere Kostenregelungen
Ferner argumentiert der EuGH, dass die DSGVO in Sonderfällen durchaus die Erhebung von Kosten erlaubt. Beispiele dafür sind offenkundig unbegründete oder häufig wiederholte Anträge (siehe Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO). Damit berücksichtigt die DSGVO selbst die wirtschaftlichen Interessen der Stellen, die zur Auskunft verpflichtet sind. Deshalb besteht kein Spielraum mehr dafür, dass der deutsche Gesetzgeber durch eine Regelung im BGB solche wirtschaftlichen Interessen noch ein zweites Mal berücksichtigt. Die Kostenregelung des BGB darf deshalb neben der DSGVO nicht angewandt werden.
Dem Patienten ging es um „datenschutzfremde Zwecke“
Zahnärztin und Patient waren sich jedoch auch noch in einer anderen Frage nicht einig. Der Patient hatte offen gesagt, dass er die Kopie seiner Behandlungsunterlagen für einen möglichen Haftungsprozess gegen die Zahnärztin benötigt. Damit verfolgte er ein völlig anderes Ziel als die Überprüfung des Datenschutzes. Das sah die Zahnärztin nicht ein. Dafür sei der Auskunftsanspruch nach der DSGVO nicht da.
Nach Auffassung des EuGH geht das jedoch in Ordnung
Der EuGH stört sich schon daran, dass ein Verantwortlicher überhaupt fragt, warum jemand Auskunft über seine personenbezogenen Daten verlangt. Die DSGVO lege nirgends fest, dass eine betroffene Person ihren Antrag auf Auskunft begründen muss. Deshalb dürfe sie auch nicht danach gefragt werden, worum es ihr bei der Auskunft geht. Sollte eine betroffene Person dazu von sich aus etwas sagen, ändert das nichts am Ergebnis. Auch dann hat sie Anspruch auf Auskunft über ihre Daten.
Die Entscheidung hat große praktische Bedeutung
Für das gesamte Gesundheitswesen ist nunmehr klar, dass Patienten eine Kopie (nicht: mehrere Kopien) der Behandlungsunterlagen kostenlos bekommen müssen. Nicht nur dort, sondern generell gilt außerdem: Betroffene Personen haben auch dann ein Auskunftsrecht, wenn sie die Auskunft für Rechtsstreitigkeiten in Gerichtsverfahren verwenden wollen.
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